Von der Plattenbausiedlung zum Ökodorf

9. Mai 2016 Lesezeit: Orte
Wolfen-Nord. Wie wäre es, wenn Menschen sich in Wolfen ansiedeln, anstatt dorthinzu pendeln? Wenn mehrere Generationen dort wieder ihre Heimat finden könnten? Wie wäre es, wenn Wolfen für eine neue, nachhaltige Stadtentwicklung, anstatt für seineAltlasten bekannt wäre und dieser Ort zu einem soziokulturellen Impulsgeber derRegion würde?
Von der Plattenbausiedlung zum Ökodorf in Wolfen
Bild: Herzensgemeinschaft-Wolfen.org

Der in Leipzig lebende Mediziner Paul Friedrich Seifert, in Halle an der Saale geboren und in Wolfen aufgewachsen, legte den Grundstein dieser Vision von einem gesellschaftstransformierenden Gemeinschaftsdorfprojekt. Geprägt durch sein Elternhaus, dem Pfarrerehepaar Seifert und durch seine Stationen während und auch nach seiner Ausbildung, entstand die Idee zu einem größeren Gemeinschaftprojekt.

Bei einem Besuch seiner Eltern in Wolfen erfuhr er, dass der Wohnkomplex 4, der in den 80er Jahren in Wolfen-Nord errichtet wurde, weiter rückgebaut werden soll. Damals im Jahre 1960 wurde der erste Teil der Plattenbausiedlung für die Bitterfelder Chemiearbeiter erbaut. Vor der Wiedervereinigung wohnten in der Trabantenstadt ca. 35.000 Einwohner, inzwischen ist die Zahl der Bewohner auf ca. 11.000 gesunken. Beinahe die Hälfte der Wohnungen wurden bereits abgerissen.

So manifestierte sich der Gedanke bei Paul Seifert dieses Projekt am Rande von Wolfen aufzubauen. Ein optimaler Ort für eine Wiederbelebung. Nicht nur die Lage mit der bestehenden Infrastruktur, die Nähe zur Stadt als auch zur Natur, sondern auch die vorhandene Bausubstanz sind eine perfekte Grundlage für ein solches Projekt. Die günstige Anbindung umliegender Großstädte wie Leipzig, Halle oder Berlin via Autobahn und öffentlichem Nah- und Fernverkehr macht Wolfen-Nord für ein Mehrgenerationen-Projekt sehr interessant und erleichtert die kulturelle und wirtschaftliche Vernetzung mit anderen Gemeinschaften und Städten. Der Aufbau einer alternativ nachhaltigen Siedlung für mehr als 200 Menschen, könnte sich hier verwirklichen lassen. Diese Idee ließ ihn von da an nicht mehr los.

Bis Ende Oktober 2015 fanden sich weitere Gleichgesinnte verschiedenen Alters aus Mitteldeutschland, die zusammen mit ihm die Herzensgemeinschaft-Wolfen gründeten. Sie alle stehen im Berufsleben, kommen aus unterschiedlichen Bereichen und suchten nach einer Gemeinschaft, die sich gegenseitig in Lebens und Arbeitsprozessen unterstützt und groß genug ist, um Stabilität auf verschiedenen Ebenen zu gewährleisten. Dabei ist ihr Anspruch an das gemeinschaftliche Leben sehr hoch. Ihr gemeinsamer Fokus liegt auf der Schaffung einer enkeltauglichen Gesellschaft, die Menschlichkeit über egoistische Erfolge stellt. Sie möchten offen für Unerwartetes und Ungewohntes sein und das Andersartige als Chance sehen und Inklusion leben. Erziehung und Bildung sollte sich an einem Menschenbild der Herzensverbundenheit orientieren.

Zusammen entwickelten sie ein Konzept, setzten sich mit den Verantwortlichen in der Stadt Wolfen zusammen, stellten das Projekt den Anwohnern des Ortes vor und begannen über Flyer und soziale Netzwerke ihr Projekt zu bewerben. Seitdem finden regelmäßige Kennlernwochenenden statt, bei denen sich Interessierte einbringen können. Für diesen Sommer ist ein kleines Festival geplant. Die “Sommergemeinschaft” verbringt eine Woche mit Musik, Exkursionen, Kinderprogramm, Lagerfeuer und Workshops zu Methoden und Gemeinschaftsbildung.

Von der Plattenbausiedlung zum Ökodorf in Wolfen
Bild: Herzensgemeinschaft-Wolfen.org

Aber was macht das Projekt so besonders?

Es ist die Idee aus einer Plattenbausiedlung ein ökologisches Dorf zu gestalten, ausgerechnet in einem Ort, der noch vor so gar nicht langer Zeit den Ruf einer schmutzigen Arbeiterstadt hatte und aus dem viele Menschen seit der Wende geflüchtet sind. Und genau dieses Dorf soll nun Platz für Freiräume, und ein Leben für Mehrgenerationen bieten, vom Waldkindergarten bis hin zur Altenpflege. Ein öffentlicher Raum für kulturelle und spirituelle Offenheit, für Persönlichkeits- und Gemeinschaftsentwicklung. Räume für Kunst, Kultur und Gäste.

Dabei soll ein nachhaltiger Umgang mit Ressourcen und deren Erzeugung gelebt werden. Ideen und Pläne gibt es reichlich und mancher mag dies für utopisch halten, doch wer die Initiatoren kennengelernt hat, ist überzeugt, dass dies gelingen kann. Sie leben dieses Projekt von Anfang an mit Herzenswärme und spürbarer Verbundenheit.

Wie kann sich so ein Projekt organisieren?

Das Wohn- und Lebensprojekt stützt sich auf die vier Säulen: Ökonomie, Ökologie, Soziales und Kultur. Jeder Bereich wird sowohl einzeln beachtet, als auch in der Symbiose zueinander, damit sich eine ganzheitliche Gemeinschaft entwickelt. Mit der Vielschichtigkeit des Projektes ist es möglich, innerhalb der großen Gemeinschaft mehrere kleinere Zellen zu bilden, frei nach dem Motto „alles kann, nichts muss“. Dennoch sind die Bereiche so verwoben, dass daraus ein Kreislauf entsteht, an dem alle teilhaben können.

Die Selbstversorgung mit regionalen ökologischen Lebensmitteln (möglichst viel aus eigenem Anbau) ist dabei nur ein wichtiger Teil des Ganzen. Dies könnte durch angrenzenden landwirtschaftlichen Flächen realisiert werden. Nach und nach sollen weitere Gebäude in nachhaltiger Bauweise mit der Unterstützung durch lokale Handwerker beim Hausbau in Eigenleistung entstehen. Dabei werden regionale und ökologische Baumaterialien bevorzugt. Der Aufbau von Büros, einem Heilhaus mit Arzt- und Therapeutenpraxen, Ateliers und Handwerksbetrieben wie Gärtnerei und Tischlerei, Gästebetrieb, einem Bioladen und ein Café schafft zusätzliche Arbeitsplätze, die den Ort Wolfen wieder attraktiv werden lassen und ebenfalls zur Wiederbelebung der Stadt beitragen.

Für eine zeitnahe Realisierung zur Wiederbelebung dieses Ortes würden sich zwei bis vier Wohnblocks zum schnellen Einzug und spätere Gästewohnungen, Büros und Ateliers perfekt eignen. Selbst für ein Gemeinschaftshaus wäre genügend Raum vorhanden. Die derzeitige Turnhalle könnte als Mehrzweckhalle umfunktioniert werden. Alle Zwischenflächen laden gerade zu ein, um sie in Gärten für alle Bewohner zu verwandeln. Mit dem angrenzenden Wald wäre sogar eine eigene Holzversorgung teilweise möglich.

Finanzierung

Die soziale als auch die kulturelle Säule und deren Schnittstellen zu den anderen Aspekten des gesellschaftlichen Zusammenlebens können sehr gut durch Vereine abgebildet werden. Sämtliche ökonomischen Aspekte lassen sich durch Genossenschaften und Kleinbetriebe verwirklichen oder abdecken. Um das Projekt als Gemeingut zu schützen, wird langfristig die Gründung einer Stiftung angestrebt.

Das notwendige Budget setzt sich aus Eigenkapital, Finanzmitteln privater Unterstützer, Crowdfunding, Fördergeldern, Mieten und Krediten zusammen. Mit diesen Einnahmequellen kann der Kauf, bzw. die Pacht oder Anmietung der Grundstücke und Gebäude gewährleistet werden. Das funktioniert allerdings nur, wenn die Gemeinschaft zeitnah genügend Mitglieder findet. Aktuell gibt es bereits ein Angebot der Wolfener Wohnungsbaugesellschaft, zwei von den vier Plattenbauten zu erwerben.

Von der Plattenbausiedlung zum Ökodorf in Wolfen
Bild: Herzensgemeinschaft-Wolfen.org

Der Ort Wolfen könnte in vielerlei Hinsicht profitieren

Der Prozess der Wiederbelebung mit erprobten Strategien der Ökodorf-, Transition und Permakultur-Bewegung wäre für den Ort eine enorme Bereicherung. Eine Durchmischung von Lebens- Arbeits- und Kulturraum setzt Impulse und würde nicht nur junge Familien aus den umliegenden Großstädten anlocken. Auch die derzeitigen Pendler könnten sich wieder in der Nähe ihrer Arbeitsstelle in Wolfen ansiedeln. Der Aufbau von nachhaltigen Strukturen wäre ein Experimentierfeld und Vorbild für weitere nachhaltige Stadtentwicklung, was die wirtschaftliche und demographische Entwicklung stabilisiert und widerstandsfähiger macht. Wolfen-Nord würde wieder zu einem Ort werden, wo Menschen gerne hinziehen. Das geplante Ökodorf könnte so zu einem positiven Beispiel für alle Menschen werden, die anders leben wollen.

Die Initiatoren organisieren über die nächsten zwei Jahre Kennenlernwochenenden und Intensivzeiten vor Ort im Christophorushaus, um zusammen zu wachsen und sich dann anzusiedeln. Derzeit besteht die Gruppe aus 13 Aktiven, die sich soziokratisch organisieren und offen für weiter Mitgründer sind. Ihr Ziel ist es, bis Mitte 2017 einen festen Stamm aus 50 Erwachsenen in der Gemeinschaft zu haben, so dass sich bei den regelmäßigen Treffen die Gemeinschaftsbildung vertiefen kann. Dann kann eine Genossenschaft gegründet und mit den Bauplanungen begonnen werden. Zusammen möchten sie ein Konzept erarbeiten, das Ihnen eine neue Heimat schafft. Wenn alles nach Plan läuft, könnten die ersten Bewohner im Juni 2018 dort einziehen.

 

Erstellt von Karin Demming | Linkedin folgen

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